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Das Schöne am kollaborativen Prozess

Fabio Kühnemuth
Fabio Kühnemuth

Die Auswahljury hat nach knapp 100 Stunden Filmschauen getagt und das Programm für das 43. FILMSCHOOLFEST MUNICH ausgewählt. Hier sprechen Eh-Jae Kim und Ornela Čop über das Festival, ihren Auswahlprozess und ihre Erfahrungen.

Das Schöne am kollaborativen Prozess

Kanntet ihr das FILMSCHOOLFEST MUNICH - FESTIVAL OF FUTURE STORYTELLERS schon vor der Teilnahme an der Auswahljury?

Eh-Jae: Ja, ich kannte FILMSCHOOLFEST MUNICH schon, hatte aber bislang noch nicht die Gelegenheit, das Festival zu besuchen.

Ornela: Ja, ich habe Katharina Vollmuth von der Programmleitung bereits 2018 während eines Kurses kennengelernt, den wir beim Vilnius International Film Festival besucht haben. Obwohl es schon eine Weile her ist, habe ich mich sehr über ihre Einladung gefreut, Teil der diesjährigen Auswahljury zu sein.

 

Ihr hattet das Vergnügen, mehr als 350 Filme zu schauen. Welche Erwartungen hattet ihr, bevor ihr mit der Sichtung der Filme begonnen habt? (War es das erste Mal, dass ihr Filme für ein Festival ausgewählt habt, oder hattet ihr bereits Erfahrung?)

Eh-Jae: Da es das erste Mal war, dass ich Filme für ein Festival ausgewählt habe, hatte ich keine besonderen Erwartungen, aber ich war sehr neugierig darauf, welche Themen und Fragestellungen junge Filmschaffende zu vermitteln versuchen, und ich wollte ein breites Spektrum an Filmen sehen.

Ornela: Durch meine Festivalarbeit habe ich zwar Erfahrung mit Filmauswahlverfahren, aber immer nur von der organisatorischen Seite her, so dass ich weiß, wie viele Stunden und Arbeit dahinterstecken. Dies war mein erstes Mal als aktive Teilnehmerin, als Kuratorin, und ich wollte strategisch vorgehen, um zu vermeiden, dass ich mich am Ende überfordert fühle, und habe versucht, jedem Film während des Prozesses die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken und den Zeitplan entsprechend zu gestalten. Trotzdem war es eine große Aufgabe, die mich den ganzen Sommer über in Anspruch genommen hat – nicht auf eine schlechte, sondern auf eine intensive und lohnende Weise.

 

Wie habt ihr euch durch diese Menge an Filmen durchgearbeitet? Wie viele Stunden habt ihr vor dem Bildschirm verbracht? (Was war der ungewöhnlichste Ort, an dem ihr einen der Filme gesehen habt?)

Eh-Jae: Wenn ich schätzen müsste, dann habe ich fast 100 Stunden mit dem Ansehen der Filme verbracht; es war eine sehr intensive Zeit. Einige Filme habe ich in der Bibliothek angeschaut, da es im Sommer immer wärmer wurde und ich einen kühleren Ort als meine Wohnung brauchte. 

Ornela: Ich hatte die wunderbare Gelegenheit, die meisten Filme während eines Sommerurlaubs an der südkroatischen Küste zu sehen. Das bedeutete, dass ich die Möglichkeit hatte, mich zu entspannen und die Filme zu genießen und dann meine Augen zu entspannen, während ich auf das Meer blickte. Die Natur hat mir geholfen, meine Eindrücke zu verarbeiten und Kraft für die nächsten Filme zu tanken.

 

 

 

 

Gab es allgemeine Trends, die euch aufgefallen sind oder gab es Themen oder Ästhetiken, die hervorstachen?

Eh-Jae: Es war auffällig, dass viele junge Künstler und Filmemacher versuchen, Fragen zu stellen, die sich auf die Vergangenheit beziehen, seien es ihre eigenen Kindheitserfahrungen, Generationskonflikte innerhalb der Familie oder einfach die Frage, wie die Gegenwart von Menschen vor uns geformt wurde. Die Fragen, die aufgeworfen werden, suchen nicht nur nach Antworten, sondern vielmehr nach einem Verständnis für den prozesshaften Charakter von Veränderung und Entwicklung. In ihrer einfachsten Form ging es oft darum, die Familiendynamik mit den eigenen Eltern, Geschwistern oder dem eigenen jüngeren Ich zu verstehen.

Ornela: Oh, das ist eine schwierige Frage! Ich bin bei der Auswahl an jeden einzelnen Film unvoreingenommen herangegangen, aber am Ende des Prozesses habe ich doch Trends festgestellt.

Ich würde sagen, dass viele Filme den Weg des Erwachsenwerdens und der sich verändernden Beziehungen erforschen – insbesondere in Bezug darauf, wie sich die Beziehungen zu den Eltern und (anderen) Autoritätspersonen entwickeln, aber auch in Bezug auf Trauer und Trauma (häusliche Gewalt, psychische Probleme, die auf ungesunde Familienmuster zurückzuführen sind). Diese Themen wurden auf vielfältige Weise präsentiert, von subtilen, lyrischen Erzählungen bis hin zu direkten, eindrucksvollen Dokumentarfilmen, die die Familiendynamik im Laufe der Zeit thematisieren. Die Verwendung von Collagen und/oder altem Filmmaterial – Familienalben, Videomaterial und Briefe – spielte in diesen Filmen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Ich habe auch eine signifikante Darstellung von queeren Erfahrungen gesehen, was beweist, dass junge Filmemacher bereit sind, für ihre Überzeugungen einzutreten und von Repräsentation zu sprechen. Man darf gespannt sein, wer dieses Jahr den neu eingeführten QMS-Preis gewinnt! Beeindruckend war die Themenvielfalt der Dokumentarfilme, die ein breites Spektrum an Themen abdeckten. Es gab viele Werke, die sich stark auf Flucht, Einwanderung und Kriege konzentrieren, aber auch auf den Klimawandel und Umweltfragen. Außerdem tauchte in mehreren Werken eine Retro-Ästhetik auf, die auf einen nostalgischen Einfluss hindeutet, der offensichtlich bei vielen Filmemachern Anklang fand.

Insgesamt beweist die Vielfalt der Geschichten, dass sich die jungen Autor:innen intensiv mit der heutigen Welt auseinandersetzen, und ich freue mich sehr, ihre Arbeiten in der diesjährigen Auswahl vorstellen zu können! :)

 

Was war die größte Überraschung während des Prozesses?

Eh-Jae: Obwohl es sich um ein so breites Spektrum an Perspektiven, Erfahrungen und persönlichen Geschichten handelt, ist mir aufgefallen, dass die Fragen und Themen, die junge Menschen beschäftigen, viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen: die Suche nach und das Hinterfragen ihrer Identität und ihres Platzes in der Welt, wie die Welt um sie herum dies herausfordert, wenn sie erwachsen werden, und die Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen. Und ich denke, dass es eine großartige Gelegenheit für die Filmemacher:innen sein wird, wenn sie sich alle in München treffen und die Arbeiten der anderen sehen, sich miteinander verbinden und Ideen austauschen.

Ornela: Eine unglaubliche Vielfalt an Themen, Motiven und kreativen Ansätzen!

 

Wie war die Zusammenarbeit innerhalb der Auwahljury? Wart ihr euch größtenteils einig oder musstet ihr um eure Favoriten kämpfen? (Seid ihr zufrieden mit der Auswahl?)

Eh-Jae: Es war ein Vergnügen, jemanden zu haben, der sich für Film interessiert und sehr leidenschaftlich ist. Wir waren uns während des Großteils des Prozesses sehr einig.

Ornela: Ich war sehr dankbar, dass ich Eh-Jae Kim während des gesamten Prozesses als Kollegin hatte. Bei einigen Filmen hieß es für uns beide sofort „Ja“, ohne Fragen zu stellen. Das war natürlich nicht bei allen Filmen der Fall, aber unsere Gespräche waren immer sehr offen, inspirierend und voller Respekt für die Perspektiven und Meinungen des anderen. In einigen Fällen setzte sich eine Perspektive durch, in anderen Fällen fanden wir eine gemeinsame Basis. Unser übergeordnetes Ziel war es, Filme auszuwählen, die einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen haben, und ein vielseitiges, hochwertiges Programm zusammenzustellen, das die Bandbreite der eingereichten Filme widerspiegelt. Wie immer konnten einige persönliche Favoriten aus Platzgründen nicht berücksichtigt werden, aber das ist das Schöne an einem kollaborativen Prozess – mehrere Sichtweisen führen zu einer reichhaltigeren, nuancierteren Endauswahl.

 

 

 

 

 

Haben eure Erfahrungen den vorherigen Erwartungen entsprochen?

Eh-Jae: Da ich keine besonderen Erwartungen hatte, war ich einfach froh, den gesamten Auswahlprozess mitzuerleben, und ich habe viel gelernt.

Ornela: Ich hatte erwartet, dass es eine Menge Arbeit sein würde, aber ich wusste nicht, wie viel Spaß und persönliche Bereicherung es bringen würde. Ich bin sehr gespannt auf alle Schritte, die noch folgen werden.

 

Warum sollten die Leute zum FILMSCHOOLFEST MUNICH kommen und sich die von euch ausgewählten Filme ansehen?

Eh-Jae: Ich denke, dass es vor allem für Leute, die mit Film im Allgemeinen oder mit Filmfestivals nicht so vertraut sind, eine großartige Gelegenheit ist, eine Auswahl von Filmen junger Filmschaffender zu sehen, um zu verstehen, was junge Menschen bewegt, worüber sie sprechen wollen, wofür sie sich begeistern und welche Ausdrucksformen sie nutzen.

Ornela: Das FILMSCHOOLFEST MUNICH ist eine wahre Goldgrube für Nachwuchsfilme! Die frühen Werke von Regisseur:innen werden meist mit weniger Erwartungen, sondern eher als Erkundung gemacht – man bekommt einen unverfälschten Einblick, wie die junge Generation arbeitet, was sie motiviert und wo ihr Schwerpunkt liegt. Seit Jahren stellt dieses Festival Filmschaffende vor, die später große Preise gewinnen und sich in der Branche einen Namen machen, auch mit ihren späteren Filmen. Es ist ein Ort, an dem man nicht nur junge Filmemacher:innen unterstützen, sondern auch ihre unglaubliche Vielseitigkeit und Originalität genießen kann. Die Vielfalt der Filme auf dem diesjährigen Festival werden beim Publikum sicherlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, so wie sie es bei mir getan haben.

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